Beschreibung des Entwurfs-programmes |
Der Entwurf einer Kirche. In Zürich.
Allein in Zürich gibt es 62 Kirchen. Man mag glauben, Religion sei allgegenwärtig. Es ist schwer, aus dem Haus zu gehen und auf dem Weg in die Stadt nicht einem Gotteshaus zu begegnen. Im Viertelstundentakt werden wir durch Hunderte von Glocken(schlägen) an etwas ausserhalb unserer physischen Existenz erinnert.
Weltweite Ereignisse und deren Berichterstattung zeichnen ein ähnliches Bild - kaum ein globaler Konflikt, der nicht mit Religion in Verbindung gebracht wird. Ein ausgesprochenes Interesse an Religion, ihren Werten und Wirkungen ist evident.
Gleichzeitig ist unser modernes Leben durch und durch verweltlicht. Die Spannung zwischen Religionen, dem religiösen und dem modernen Leben, ist wohl auch eine Reaktion auf die Säkularisierung, als eines der zentralen Elemente im Projekt der Moderne. Aber vielleicht ist dieses Projekt ein viel Schwierigeres als ursprünglich vermutet. Auch in der Architektur – einer Disziplin, die sich im letzten Jahrhundert die modernen Prinzipien von Empirie, Positivismus, Rationalität, Mechanisierung (und Säkularisierung) zum Leitmotiv gemacht hat.
Bei fast allen Architekten des letzten Jahrhunderts – modern oder nicht – spürt man sehr oft ein spirituelles Moment, zumindest eine Beschäftigung mit der komplexen Beziehung zwischen dem Heiligen und dem Profanen. In der Kunst ist das stete Vorhandensein von spirituellem Inhalt noch offensichtlicher: „Über das Geistige in der Kunst“ geht es bei Kandinsky im Jahr 1912. Und bei Octavio Paz können wir nachlesen:“(...), I believe that poetry and religion spring from the same source and it is not possible to dissociate the poem from its pretension to change man without the risk of turning the poem into an inoffensive form of literature.“
Wir betrachten die entwerferische Auseinandersetzung mit der Kirche demzufolge nicht als empirische Studie einer Bautypologie, sondern als (1) das fundamentale Zusammenspiel von physischer (baulicher) Präsenz und ihrer notwendigen Metaphysik, (2) als Beispiel eines ritualisierten Raums, als (3) Fallstudie einer expliziten Bedeutungs(zuschreibung) von Architektur und deren Kommunikationsfähigkeit, als (4) die Frage nach städtischer und gesellschaftlicher Relevanz dieser städtischen Steine jenseits ihrer tatsächlichen Nutzung - kaum eine der 62 Kirchen ist gut besucht - als (5) Feststellung, dass die grosse Qualität religiöser Vorstellungkraft in der Bildproduktion besteht, welche sowohl das Reale, Verträgliche, als auch das Tabu mit einschliesst, und schliesslich als (6) das geeignete Material für die Untersuchung der Aussenwelt der Innenwelt der Aussenwelt des architektonischen Objekts bezüglich der Leistungsfähigkeit des Plans und seiner Exzentrik im Äusseren.
Natürlich zeugt die gegenwärtige Situation unserer Kirchen von ihrer Krise. Wir hören sie, wir sehen sie, wir akzeptieren sie mehr oder weniger auf unserer Steuererklärung, aber wir gehen nicht hinein. Wenn, dann aus touristischer Neugier oder architektonischem Interesse. Und dann ist es – vielleicht aus Gründen der Authentizität – auch nicht verkehrt, wenn gerade eine Messe läuft.
Der Kirchenbau ist ein Folly, ein Anachronismus im Stadtraum, ein Hirte ohne Herde, eine Ente ohne Eierverkauf. Trotzdem, oder gerade weil die Kirche ein resistenter Ort der Reserve im Stadtkörper ist, behauptet sie sich als Kultur- und Bedeutungsträger.
Der Entwurf einer Kirche öffnet uns eine eigene Welt, eine Linse, die einen persönlichen wie auch kritischen und projektiven Blick auf unsere zeitgenössische Gesellschaft erlaubt. Deshalb wird jedem Kirchenentwurf auch seine eigene liturgische Reform zugrunde liegen.
Einführungsaufgabe: Das Haus für Maria und Josef
Im ersten Schritt analysieren wir die vorhandenen Kirchen der Stadt Zürich, indem jeder Studierende für eine bestimmte Kirche eine Krippe für das nächste Weihnachten entwirft. Ausgestellte Architektur als Haus im Haus inklusive Performance.
Der Reader dieser ersten Aufgabe ist die Bibel, als theoretischer Kontext des Kirchenraums der jeweiligen Kirche. Einer dieser Entwürfe wird nach dem Semester in Originalgrösse gebaut und Weihnachten 2016 in der jeweiligen Kirche zum Einsatz kommen.
Im Rahmen dieser Aufgabe besuchen wir eine Auswahl an Kirchen, klettern auf ihre Kirchtürme und spielen auf ihren Orgeln. Diesbezüglich musikalische Kenntnisse sind von Vorteil.
“I’m doing real architecture again. No more kicking around bits of history. No more skyscrapers. Churches and synagogues are the only buildings worth doing, unless of course I’m doing something for myself.”
—Philip Johnson
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